Die zwei Gesichter der Scham …
Ich hab mich aber auch wieder blöd angestellt! Mein Gott, bin ich peinlich! Ich bin so uncool – warum sollte jemand freiwillig mit mir befreundet sein? Kennst Du diese Gedanken, die einen manchmal abends nicht einschlafen lassen? Diese Gedanken, die einem vorhalten, was man schon wieder alles falsch gemacht hat? Dabei wäre es doch so schön, wie die anderen zu sein: lässig, schlagfertig, selbstsicher – irgendwie perfekt. Andererseits, wie uns das alte und sehr wahre Sprichwort verrät, ist das ja angeblich nobody.
Was wäre die Lösung? Vollkommen schamlos durchs Leben zu gehen? Da kommt die positive Seite von Scham ins Spiel: Scham bewahrt uns davor unser “ich” zu verschleudern und uns ungefragt jedem sofort und in Gänze zu offenbaren. Denn das “Sich-Öffnen” ist auch ein Vertrauensbeweis, der beste Freunde von zufälligen Bekannten unterscheidet. Scham schützt uns auch davor im Rausch der Situation unsere eigenen moralischen Grenzen zu überschreiten und Dinge zu tun, die wir später bereuen. Wer hat noch nie etwas gesagt oder getan, nur um nicht prüde oder spießig zu erscheinen? Und das, obwohl das Bauchgefühl geschrien hat “Stopp, so bin ich nicht”? Besonders im zwischenmenschlichen und damit auch sexuellen Bereich, kann Scham kulturell und individuell sehr unterschiedlich sein. Und das ist gut so, denn schließlich kann Zurückhaltung auch Deinen Wert steigern: Man muss sich Dein Vertrauen und Deine Zuneigung erst mal verdienen!
Sein und Schein
Könnte es nicht vielleicht sein, dass es gar nicht darum geht, besonders cool und sicher zu sein, sondern so zu tun, als ob man besonders cool und sicher wäre? Und wann immer jemand anderes eine kränkende Bemerkung macht, fühlen wir uns beschämt, nackt, ausgeliefert. Wir denken, dass sich alle unsere Freunde von uns abwenden werden, da wir ja „nur“ ganz normale verletzliche Menschen mit Fehlern sind. Und das ist scheinbar nicht gut genug.
Menschen schämen sich dafür, wie sie sich verhalten haben, was sie gesagt haben, was sie denken, ihre Familie, ihre Figur, ihre Schulnoten, ihre abstehenden Ohren, ihre Kultur, ihre Kleidung, ihre Wohnung, ihren Job, ihre Nase, ihre Religion, Pickel und und und. Kurz für alles, was normale Menschen ausmacht. Aber warum?
Der Vergleich hinkt…
Das Gemeine ist, dass Menschen ihr Selbstbild über Vergleiche mit anderen konstruieren und bewerten. Das heißt, wo sind meine Stärken im Vergleich zu anderen und wo sind meine Schwächen. Das geschieht ständig und größtenteils unbewusst. Dabei vergleicht man sich allerdings nicht nur mit einer Person, sondern pickt sich bei vielen Einzelnen Dinge raus, die einem als besonders gut auffallen. So entsteht quasi ein Puzzle aus perfekten Einzelteilen. Wer könnte dem noch genügen? Richtig, niemand. Und auch wenn man das eigentlich weiß, kann man sich trotzdem für seine vermeintlichen Schwächen schämen. Vermeintlich, weil es einen himmelweiten Unterschied zwischen Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung geben kann. Wenn ich glaube, dass ich nicht singen kann, meine Witze nicht lustig sind und jeder sowieso nur auf meine billigen no-name-Turnschuhe starrt, heißt das noch lange nicht, dass andere das auch so sehen. Vielleicht finden sie meine Stimme schön oder gerade gut, weil sie nicht so perfekt glatt ist, vielleicht habe ich sie mit meinem Humor aufmuntern können – das müssen ja nicht immer Brüller sein – und vielleicht ist ihnen die Marke meiner Turnschuhe total schnurz. Wer sagt, dass ich als Person, die nicht so viel über sich selbst redet, die nicht jeden Quatsch mitmachen will, übersehen werde? Vielleicht macht mich ja gerade das interessant und vertrauenswürdig. Ja, vielleicht mögen mich andere einfach, weil ich so bin wie ich bin. Wie würde sich das anfühlen? Gut?
Aber – und jetzt kommt der Haken an der Sache – die anderen können Dich nur so akzeptieren wie Du bist, wenn Du ihnen auch zeigst wie Du bist. Logisch oder? Spielst Du vor, dass Du keine Geheimnisse hast und immer gut drauf bist, können sie Dich zwar als „Sonnygirl/Sonnyboy“ einordnen und akzeptieren wie Du gern sein möchtest, aber nicht wie Du wirklich bist. Außerdem ist es nicht nur äußerst anstrengend, seinem selbst geschaffenen Image immer gerecht werden zu müssen, es verhindert auch wirkliche Nähe.
Was also tun?
Der erste Schritt in die richtige Richtung ist, Dich selbst zu akzeptieren mit schiefen Zähnen, Schüchternheit, Schusseligkeiten, stottern, doofe Sachen sagen, Dinge nicht machen wollen, keine Ahnung haben, nix fertig kriegen … hier kannst Du gerne alles ergänzen, wofür Du Dich jemals geschämt hast. Aber sind das wirklich Schwächen oder ist das nicht vielmehr eine schöne Liste von Dingen, die menschlich, liebenswert und einzigartig machen?
Es ist vollkommen okay, schlechte Laune zu haben, dagegen zu sein, anders auszusehen, nicht von jedem gemocht zu werden, nicht auf jede Party eingeladen zu werden. Was am Ende des Tages zählt ist, ob man zu sich gestanden hat, ob man „echt“ war. Das sperrige Zauberwort lautet „Authentizität“ und bedeutet nicht weniger als sich nach außen auch so zu geben, wie es gerade wirklich im Inneren aussieht.
Deine Scham gehört zu Dir und es sollten nicht ANDERE darüber bestimmen, wie Du Dich deshalb fühlst. Versuch Deine Scham genauso als Deinen Schatz zu akzeptieren wie andere Eigenschaften von Dir und im besten Fall kannst Du irgendwann sogar darüber schmunzeln. Aber vor allem: versuche Du selbst zu sein, sei echt! Das spüren Andere und niemand wird sich deshalb von Dir abwenden. Und wenn doch, dann sind das diejenigen, die Du wirklich nicht brauchst, um Dich wohlzufühlen.
SCHAM IST KEINE SCHWÄCHE!
Verankere diesen Satz ganz fest in Deinem Kopf, wickele Dein Selbstbild darin ein wie in Geschenkpapier und verteidige ihn auch nach außen! Das stärkt Dich selbst und alle anderen, die sich für irgendwas schämen! Und das sind ja bekanntlich nicht wenige …
Wenn das mit „sich zeigen, wie man wirklich ist“ noch nicht so gut klappt, dann sind wir von JugendNotmail für Dich da. Wir unterstützen Dich gerne, wenn Du etwas verändern willst: weg von quälenden Schamgefühlen – hin zu einem besseren Selbstgefühl!
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Ich schaffe das nicht!
Ich kann nicht mehr! Ich bin total am Ende! Dabei will ich doch nur alles richtig machen. Und ein guter Freund oder eine gute Freundin sein. Bin ich so schwach? Nein, bist Du nicht.
Wenn der Leistungsdruck zu viel wird, jeder Tag ein Kraftakt ist, Du kaum noch Freude spürst, weil Du immerzu funktionieren musst, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis gar nichts mehr geht. Höchste Eisenbahn, etwas zu verändern.
Wenn nichts gut genug ist …
Leistungsdruck entsteht aus Erwartungen. Dabei muss man zwei Blickwinkel unterscheiden: Was erwarten die anderen von mir? Und Was erwarte ich von mir?
Die beiden hängen eng zusammen, denn was ich von mir erwarte ist im Grunde nichts anderes als das, was ich annehme, das die anderen von mir erwarten. Diese Annahmen werden nach und nach verinnerlicht und zum gefühlten Anspruch an sich selbst.
Und am allerbesten wäre, man übertrifft diese Erwartungen noch – je mehr desto besser das Selbstwertgefühl. Schleichend und unbewusst bastelt man so sein eigenes Hamsterrad. Das Hamsterrad des Perfektionismus. Man rennt und rennt und rennt. Aber es ist nie genug. Das Selbstwertgefühl ist nur noch im Keller, man fühlt sich völlig erschöpft, ungesehen und ausgebrannt. Überforderung und Hoffnungslosigkeit machen sich breit. Wie konnte es nur so weit kommen?
Von außen sieht die Sache ganz anders aus. Man sieht nur einen Menschen, der offensichtlich allen Anforderungen gerecht wird. Warum sollte man ihm helfen? Er schafft es ja. Ganz im Gegenteil, man bürdet ihm sogar noch mehr auf. Er ist ja ein „Macher“, der oder die schafft das schon. Dabei ist die Belastungsgrenze längst erreicht oder bereits überschritten. Doch solange niemand STOP! HALT! SCHLUSS! AUS! schreit, sieht das keiner. Was also tun?
Grenzen setzen, NEIN sagen
Ich will das nicht, ich komme nicht, ich will nicht mitmachen, das ist mir zu viel, ich hab keine Lust, lass mich in Ruhe, mach das selber! Sätze, die einem gar nicht so leicht über die Lippen gehen, wenn man bis jetzt everybodys darling war, immer für andere da.
Du musst nicht immer „funktionieren“
Jeder Mensch erfüllt unzählige Rollen, z.B. als Tochter/Sohn, Schüler, Enkel, Schwester/Bruder, Freund, Partner, im Job und in der Freizeit. Um überall gut zu „funktionieren“ glaubt man je nach Rolle brav, fleißig, klug, hilfsbereit, witzig, sexy, kompetent, mutig, sportlich und noch vieles mehr sein zu müssen. Und immer schön lächeln, auch wenn einem gar nicht danach zumute ist.
Das nennt man emotionale Dissonanz, das heißt ein Unterschied zwischen der gezeigten Stimmung und der echten. Es ist erwiesen, dass Jobs die emotionale Dissonanz erfordern – z.B. in einer Beschwerdestelle immer freundlich zu bleiben – viel häufiger zum Burn Out führen. Denn Schauspielerei und genau das ist es, ist anstrengend. Also frag Dich ruhig häufiger am Tag mal:
„Bin ich gerade echt, oder spiel ich eine Rolle?“
Und wie immer, ist auch bei Leistungsdruck wichtig: Sprechen, sprechen, sprechen. Teile Dich mit, frage andere, ob es ihnen auch so geht und wie sie damit umgehen. Nur durch Gespräche kannst Du rausfinden, ob die angenommenen Erwartungen von anderen überhaupt existieren. Ziemlich wahrscheinlich sind sie sehr sehr viel geringer, als Du gedacht hast.
Wenn ich nicht weitermache, bricht alles zusammen … oder nicht?
Manchmal ist es aber tatsächlich so, dass Eltern, Freunde, Lehrer und wer auch immer zu viel erwarten. Zum Beispiel dass man um 6 Uhr aufsteht, den kleinen Bruder versorgt und zur Kita bringt, dann zur Schule – natürlich mit Top-Leistungen, Bruder abholen, Haushalt erledigen, Kochen, Hausaufgaben machen und abends noch Babysitten. Klare Sache, das geht nicht! Ein junger Mensch hat auch das Recht sein Leben zu leben und dazu gehört Freizeit, Entspannung, Freunde treffen, Quatsch oder auch nix machen.
Ist man aber schon tief drin, sieht man oft den Wald vor Bäumen nicht. Das heißt, kein Ausweg weit und breit, sei es, dass das Verantwortungsgefühl so stark oder die Situation scheinbar nicht zu ändern ist. Also warten bis man zusammenbricht? Dann kann man eigentlich auch gleich sagen „nix geht mehr“. Und obwohl Du‘s nicht geglaubt hast wird sich die Welt weiterdrehen und sich die Dinge auf wundersame Weise neu arrangieren.
Was also tun?
Schritt 1: Immer direkt! Also zum Beispiel den Eltern, mitteilen, dass sie zu viel verlangen und Du das nicht leisten kannst und willst.
Wenn Du auf taube Ohren stößt und es nur heißt „Stell Dich nicht so an!“ oder auch nach mehrmaligem Sagen absolut nichts passiert, dann
Schritt 2: Hol Dir Hilfe! Das kann jede Person Deines Vertrauens sein, die Dich gegenüber Deinen Eltern unterstützen kann. Tante, Opa, Cousin, Vertrauenslehrer*in oder auch jemand, der sich professionell um die Probleme von Jugendlichen kümmert.
Garantiert gibt es auch in Deiner Nähe viel mehr Anlaufstellen, als Du gedacht hast. Dort kann man Dir auch sagen ob und wenn ja, welche Alltagshilfen Dir möglicherweise zustehen. Die meisten wissen es nur einfach nicht. Also, keine falsche Scham, werde aktiv und lass Dir helfen!
NIEMAND KANN IN ALLEM GUT SEIN.
Und zum Glück muss das auch keiner. Du bist gut, so wie Du bist. Deshalb beschütze Dich so gut wie jemanden, den Du sehr lieb hast. Und sag öfter mal NEIN.
Wenn das noch nicht so gut klappt und Du Unterstützung brauchst, dann sind wir von JugendNotmail für Dich da. Vielleicht können wir Dir das ein oder andere Türchen auf dem Weg zu mehr Selbstbestimmung und weniger Leistungsdruck zeigen …
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Der Dämon soll abhauen!!!
Ich will mein Leben zurück!
Aber wenn der Dämon kommt und mich fragt, was ich gegessen habe, dann erstickt mich das schlechte Gewissen, dann gibt es nichts anderes mehr…
Kommt Dir das bekannt vor?
Kennst Du diese Zerrissenheit, dass es so nicht weitergehen kann, aber anders auch nicht?
Mädchen erkranken 10-mal häufiger an Magersucht als Jungs und das meist zwischen 16 und 18 Jahren. Deshalb nicht wundern, wenn im Folgenden eher Mädchen angesprochen werden – gilt trotzdem auch für Jungs. Anorexie ist eine psychische Erkrankung, die zur verzerrten Wahrnehmung des eigenen Körpers führt. Das ist so. Und umso tiefer man drin steckt, desto weniger will man das wahrhaben. Die rasende Angst zuzunehmen, beherrscht Dein Leben. Oder was davon übrig ist. Denn Sport und tausend Aktivitäten, die mit essen zu tun haben, gehen schon lange nicht mehr. Und irgendwann fühlst Du Dich nur noch in Pro Ana – Foren verstanden. Aber ein Teil von Dir weiß auch, dass das nicht ewig so gehen kann und dass irgendwas in Deinem Leben gar nicht ok ist.
Das Problem ist aber nicht die Anorexie selbst, sie ist nur ein Ventil, der Versuch wieder Kontrolle über Dein Leben oder wenigstens einen Teil davon zu haben. Aber was ist es dann?
Zu viel, zu hoch, zu schwer, zu groß – ich kann das alles nicht!
Früher war alles easy. Deine Eltern haben die Dinge geregelt, Du musstest nichts leisten und warst wahrscheinlich ein ganz normales fröhliches Kind. Mit der Schule kam der Leistungsdruck und Du hast Dich abgestrampelt, um eine gute Schülerin, eine gute Tochter und eine gute Freundin zu sein. Denn Du musst ja „erwachsen werden“.
Ein Teil von Dir will das auch, denn erwachsen sein bedeutet auch frei sein und noch kontrollieren Deine Eltern scheinbar alles – wann Du nach Hause kommst, ob Du genug gelernt hast, was es zu essen gibt.
Der andere Teil von Dir hat furchtbare Angst, dass „erwachsen“ bedeutet, dass Du von jetzt auf gleich alles können und leisten musst, eben wie Erwachsene. Keine Fehler machen, unabhängig sein, sein Leben auf die Reihe kriegen. Du fühlst Dich winzig und hilflos und sollst in dieses tiefe dunkle Meer des Lebens springen. Der Konflikt zwischen Freiheitsdrang und Überforderung scheint unlösbar und Du willst Dich am liebsten in Luft auflösen.
Die fatale Fehleinschätzung ist die angenommene Erwartung der anderen, insbesondere Deiner Eltern. Auch sie sind nicht von jetzt auf gleich „erwachsen“ geworden. Sie sind langsam reingewachsen und haben eine Billion Fehler gemacht. Und diese Fehler, Irrtümer und falschen Entscheidungen stehen Dir auch zu. Nein, Du musst sie sogar machen.
„Mach das so oder so“, mag zwar von Deinen Eltern gut gemeint sein, aber für Dich ist es der absolute Horror. Fremdbestimmung total. Und Du hast recht, denn …
Du musst Deine Fehler selber machen!
…und manchmal auch dafür kämpfen. Das geht oft nicht ohne Streit. Dein Unterbewusstsein sucht fieberhaft nach einem Ausweg aus dieser Zwickmühle und manchmal findet es leider Anorexie. Sie gaukelt Dir vor, dass Du wieder Kontrolle hast und dass Dich andere für Deinen Körper bewundern. Das mag auch stimmen, aber nur in Anas Welt. In der richtigen Welt sehen die Leute eine Hungermaske und dahinter ein geringes Selbstwertgefühl, das sich verzweifelt an Dünnsein klammert.
Was hat Dir dünn sein gebracht?
Sei ehrlich, auch wenn’s weh tut. Bist Du glücklich? Bist Du entspannt? Sprechen Dich mehr Jungs an, weil sie Untergewicht attraktiv finden? Sind Deine Probleme gelöst? Hmmm, wohl eher nicht. Und falls Du einen Freund hast, hast Du sicher auch schon festgestellt, dass Untergewicht ein Lust-Killer ist. Aber das ist nur eins von vielen körperlichen Symptomen wie Haarausfall, Unfruchtbarkeit, Wachstumsstop, Haare auf der Wirbelsäule, Schwindel, keine Kraft und Kondition mehr. Und diese Symptome sind auch noch bitter erkauft, indem Du Dich und andere permanent belügen musst, um weiter hungern zu können.
Aber das wirklich Tragische ist, dass so viel mehr in Dir steckt und Du es nicht sehen kannst, weil die Krankheit Dir nur noch eine einzige Perspektive auf die Welt erlaubt.
Du suchtest Kontrolle, jetzt kontrolliert es Dich. Das war nicht der Plan.
Jeder weitere Tag ist ein verlorener Tag. Wenn Du da raus willst, schaffst Du es auch! Glaub an Dich und lasse keine Zweifel zu! Die Anorexie ist wie ein Krake, der sich gemütlich in Deinem Hirn eingenistet hat und aus der Schaltzentrale Verhaltens- und Denkmuster bestimmt. Aber: ES SIND NUR GEDANKEN,
die sich über die Zeit verfestigt haben. Du hast sie irgendwann zugelassen und Du kannst sie auch wieder verbieten, denn es ist Dein Kopf, Dein Gehirn. Je häufiger Dir das gelingt, desto leichter wird es.
Und ja, Rückfälle können passieren, kein Grund aufzugeben. Dann einen Schritt zurück und wieder vorwärts gehen.
Wenn Dir noch Kraft und Mut fehlen, dann können wir von JugendNotmail Dich unterstützen. Wir hören Dir zu und nennen Dir falls nötig die richtigen Anlaufstellen vor Ort. Auch dort sitzen Menschen, die Dich verstehen und Dir helfen können wieder ein erfülltes Leben zu führen.
Und das wird bestimmt von Freunden, Lachen und Weinen, fleißig und faul sein, Quatsch machen und tausend anderen Sachen – aber ganz bestimmt nicht von Gewicht.
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Eltern verstehen – bessere Kommunikation
Du bist aber nicht „die anderen“!
Hast Du auch das Gefühl, Deine Eltern verstehen Dich null und Du kannst mit ihnen einfach nicht mehr reden? Sie meckern den ganzen Tag nur rum und Gespräche enden fast immer im Streit? Dann gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht.
Zuerst die schlechte:
Auf der einen Seite Abnabelung (Du) und auf der anderen Loslassen (Eltern). Das geht nicht ohne Streit und der muss ausgehalten werden. Noch bist Du nicht volljährig und ja, Deine Eltern haben noch das gesetzliche Recht, Regeln aufzustellen.
Jetzt die gute:
Konflikt bedeutet auch Fortschritt in diesem Prozess. Die schwere Zeit geht vorbei und – Du kannst sie mit ein bisschen Taktik sehr viel angenehmer für Dich gestalten!
Die häufigsten Streitthemen zwischen Jugendlichen und Eltern sind:
wie viel Zeit ihr am Computer verbringt (57%), |
Aber sicher fallen Dir noch tausend weitere Dinge ein
Was also tun, um etwas mehr Verständnis zu kriegen?
Der Ton macht die Musik
Man kann über etwas streiten oder über etwas verhandeln. Dabei ist ein Gespräch immer ein Pingpong-Spiel, im Guten wie im Schlechten. Du sagst was Nettes und kriegst was Nettes zurück und gibst wieder was Nettes und kriegst wieder was zurück usw.
Im Gegenzug kann sogar ein ganz unbewusster Vorwurf als Angriff verstanden werden und sofort wird mit einer etwas größeren Keule zurückgeschlagen. Nun wird der erste wiederum die noch größere Keule auspacken, kurzum, die Sache gerät aus den Fugen. Kommt Dir bekannt vor?
Was die Sache noch fieser macht ist, dass das was der eine sagt, noch lange nicht das sein muss, was der andere hört. Diese verzerrte Wahrnehmung hat mit unserer Stimmung, unserer Persönlichkeit, der Situation und vielem mehr zu tun. Das ist normal und zeigt sich in der immer wieder gern genommenen Ansage „Das habe ich sooooo nicht gesagt!“. Du solltest es also bedenken und lieber noch mal nachhaken, bevor Du zum Gegenschlag ausholst. Wenn Du aber etwas haben willst, wäre es schlauer, Du durchbrichst den negativen Kreislauf und zeigst Verständnis, denn – unglaublich aber wahr …
Eltern sind nicht grundsätzlich bösartig
Sie sind tatsächlich Menschen aus Fleisch und Blut und geben ihr Bestes. Eltern haben keinen Spaß daran, Dich mit Regeln zu quälen. Sie lieben Dich. Wenn Du ihnen völlig egal wärst, wäre es ihnen auch egal, wann Du nach Hause kommst oder wie es in der Schule läuft.
All dieser Stress ist letztlich das Resultat ihres Beschützerinstinktes. Selbst hinter „Räum Dein Zimmer auf!“, steckt auch der Wunsch, Dich auf ein selbständiges Leben vorzubereiten.
Und natürlich hat auch jeder von ihnen noch eigene Sorgen, die Du nicht kennst. Vielleicht hat sich Dein Vater heute mit einem Arbeitskollegen angelegt oder Deine Mutter befürchtet, dass das Geld für irgendwas nicht reicht. Dann kann es vorkommen, dass sie etwas strenger als sonst sind, ohne dass sie das merken oder wollen. Wie kannst Du also mittelmäßig bis stark gestressten Eltern Deine Wünsche vorbringen?
Schaue aus ihren Augen
Das Zauberwort heißt Empathie, also Mitgefühl. Das geht aber nur, wenn Du auch weißt wie’s ihnen geht, also frag ruhig ab und zu und erzähle auch mal ungefragt wie es Dir geht. Das ist die Basis für Vertrauen und eine gute Ausgangslage für kleine Sonderwünsche. Willst Du zum Beispiel bis 1 Uhr weggehen, statt wie sonst bis 24 Uhr, dann gilt: Wer mehr Freiheit will, muss lieb sein!
Das heißt für’s Gespräch:
Do’s:
- sachlich, freundlich und unbedingt ruhig bleiben
- genau erklären, warum sie keine Angst haben müssen,
- evtl. eine Gegenleistung anbieten und
- auch mal loben, dass sie doch eigentlich ganz entspannte und großzügige Eltern sind.
Don‘ts:
- NICHT fordern, ungeduldig oder laut werden
- Keinen Hinweis auf andere, die mehr dürfen ,
- NIE alte Streitthemen aufwärmen,
- Keine Vorwürfe machen
- Körper im Griff haben: Nicht Augenrollen, abweisende Körpersprache, Türenknallen etc.
Wenn’s doch passiert, sofort entschuldigen. Entschuldigen ist keine Schwäche, sondern Stärke, sonst wär’s ja nicht so schwer, oder?
Davon abgesehen, geht Erziehung in beide Richtungen – auch Eltern lernen von ihren Kindern. Wer schlau ist, kommt 10 Minuten vor der vereinbarten Zeit nach Hause, das schafft einen Vertrauensvorsprung für’s nächste mal. Wenn Du es aber verpeilst und die vereinbarte Zeit nicht einhältst ist, wirst Du erleben wie viel schwerer es ist, einmal gebrochenes Vertrauen wieder herzustellen…
Die pubertäre Baustelle
Verständnis für Eltern ist schwer, wenn Kopf und Körper explodieren und hormonelle Überflutung für Chaos im Hirn und Gefühls-Achterbahn sorgt. Abhängen mit Freunden und Party machen scheint das aller Allerwichtigste, das eigentliche Leben. Aber sei ehrlich, auch Du hast schon auf langweiligen Parties rumgestanden und die Wahrscheinlichkeit, dass Du etwas verpasst, das Dein Leben verändern würde, ist doch eher gering. Wenn Deine Eltern Dich also mal partout nicht gehen lassen wollen, geht erstens die Welt nicht unter und zweitens kommt die nächste Party sowieso.
Es wäre eher verdächtig, wenn es während der Pubertät bei Euch ganz ruhig bleibt!
Deshalb sei klug und rechne, was sind die Kosten wie z.B. Zimmer aufräumen, im Haushalt helfen, Zusammenreißen im Gespräch usw. gegen den Gewinn wie:
weniger Streit, weniger Gemecker, geschonte Nerven, bessere Laune
… und die Aussicht auf gelegentliche Lockerungen was die Regeln betrifft?
Wenn das noch nicht so richtig klappt mit dem ruhigen Gespräch, dann können wir von JugendNotmail Dich gern unterstützen und Dir vielleicht Tipps für Deine ganz persönliche Situation geben.
Also nicht verzweifeln, denn am Ende wollen ja alle das Gleiche: Ein (einigermaßen) harmonisches Familienleben!
Vernachlässigung
Niemand interessiert sich für mich …
Hört Dir niemand richtig zu?
Hast Du das Gefühl immer nur im Weg zu sein? Fühlst Du Dich komplett alleingelassen mit Deinen Problemen und Sorgen?
Vernachlässigung kann schwere Folgen haben, dabei ist die Vernachlässigung durch die Eltern sicher am gravierendsten. Das kommt daher, dass wir zu Eltern eine biologische Bindung haben und nach der Geburt erst mal eine ganze Weile von ihnen abhängig sind. Dabei geht’s nicht nur um Nahrung und Kleidung, sondern auch um emotionale Nestwärme.
Tatsächlich sind wir viel länger von ihrer Aufmerksamkeit und Zuwendung abhängig, als wir das wahrhaben wollen. Deshalb haben Eltern eine ganz besondere Verantwortung, das Selbstwertgefühl ihrer Kinder aufzubauen und zu stärken. Das klappt aber leider nicht immer.
Im Jahr 2020 wurden in Deutschland 60.551 Fälle von Kindeswohlgefährdung festgestellt. In 50-70% handelte es sich dabei um Vernachlässigung.
Vernachlässigung hat viele Gesichter
1. Lorenz‘ Eltern sind Anwälte, kommen meist erst spät nach Hause und sind dann erledigt. Oft arbeiten sie auch am Wochenende oder kümmern sich dann um ihre eigenen Sachen. Er sieht sie eigentlich nie. Bis er zwölf war hatte er ein Kindermädchen, seitdem gibt es nur noch die Haushälterin. Seine Woche ist vollgestopft mit Schule, Nachhilfe, Sport, Musikunterricht und vielem mehr. Materiell fehlt es ihm an nichts und sicher beneiden ihn andere um das neueste Handy und das großzügige Taschengeld. Trotzdem fühlt er sich tief im Innern wegorganisiert, kontrolliert und völlig allein.
2. Felina hat zwei kleinere Geschwister, auf die sie meistens aufpassen muss. Platz und Geld sind knapp. Ihre Mutter hat psychische Probleme, der Vater ist arbeitssuchend und trotzdem nie da. In der Schule läuft es schlecht, weil sie immer müde ist. Denn oft haben die Eltern abends Freunde zu Besuch und dann wird es laut. Am nächsten Morgen sieht es dann immer chaotisch aus. Außerdem friert sie oft, weil die Eltern meinen, sie brauchen das Geld „für wichtigere Sachen“ als eine neue Jacke. Wenn sie mit ihren Eltern sprechen will heißt es entweder „Jetzt nicht“ oder „Dein Problem“. Felina fühlt sich vollkommen ungesehen, einsam und nicht wert, dass ihr jemand zuhört.
Trotz vollkommen verschiedener Hintergründe werden Lorenz und Felina vernachlässigt. Damit gehen Kinder und Jugendliche ganz verschieden um. Lorenz könnte zum Beispiel das Risiko suchen, um aus diesem perfekten „Funktionieren“ auszubrechen. Das kann von kleinen Lügen und Betrügereien bis zum Ausprobieren von Drogen reichen. Felina könnte sich völlig zurückziehen und glauben, dass es Schicksal ist, dass sie keine Chance im Leben hat.
Wahrscheinlich bin ich selber schuld
Wenn Dir solche oder ähnliche Situationen und Gefühle bekannt vorkommen, dann ist das allerallerwichtigste, dass Du Dir klarmachst: Du bist nicht schuld!!!
Und das zweitallerwichtigste: Jede Situation ist veränderbar!
Eltern-bashing allein hilft hier allerdings nicht weiter. Es kann zum Beispiel sein, dass Lorenz‘ Eltern vor lauter Arbeit blind sind und gar nicht sehen, wie schlecht es ihm geht. Felinas Eltern wissen vielleicht gar nicht, was Kinder und Jugendliche brauchen. Es kostet viel Mut und Kraft in solchen Situationen den Mund aufzumachen, denn schließlich bedeutet es auch, die Erzeuger zu kritisieren.
Steht einem Kind oder Jugendlichen das überhaupt zu? Ja! Unbedingt!
Der dumme Spruch „Wenn sich jeder um sich selbst kümmert, ist für alle gesorgt“ gilt nämlich nicht für Kinder und Jugendliche.
Auch wenn Du manchmal vielleicht trotzig denkt „Sch… drauf, ich brauch die gar nicht“, möchte doch jeder von seinen Eltern gelobt und geliebt werden. Zumindest im stillen Kämmerlein, wenn man mal ganz ehrlich zu sich selbst ist. Das ist auch nicht peinlich, sondern absolut menschlich und normal.
Was also tun?
Wenn Deine Eltern grundsätzlich ansprechbar erscheinen, sollte das direkte Gespräch die erste Wahl sein.
- Sag ganz offen, worüber Du nicht glücklich bist, dass Du das Gefühl hast, alles andere sei wichtiger als Du, dass es Dir nicht gut geht.
- Vermeide krasse Vorwürfe, sonst fühlen sich Deine Eltern angegriffen und es gibt Streit. Kennt man ja.
- Überlegt zusammen, was ihr ändern könnt.
Oft ist so ein Gespräch aber nicht möglich oder nicht erfolgreich, aus was für Gründen auch immer.
- Dann hol Dir Hilfe! Es gibt viele Anlaufstellen, Jugendhelfer, Sozialarbeiter, Familienberater, die gemeinsam mit Dir und auch mit Deinen Eltern überlegen können, was man wie verbessern kann.
Und keine Angst, das sind einfühlsame Menschen, die Deine Geschichte vertraulich behandeln.
Wenn Du nicht weißt, wer das in Deinem Fall sein könnte und wie sowas überhaupt geht, dann sind wir von JugendNotmail für Dich da. Wir nehmen Dich ernst und können Dir wenn nötig Ansprechpartner vor Ort nennen.
Wichtig ist: Nicht verzweifeln und aufgeben!
Kinder und Jugendliche haben das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit, das heißt, dass ihnen kein vermeidbares Leid zugefügt werden darf. Also friss es nicht in Dich rein und teile anderen mit, wenn Du glaubst vernachlässigt zu werden.
Nur so kann sich etwas zum Besseren ändern …